4.3 Exkurs: Terry Gilliams Animationen

 

"My approach has always been to keep an eye open for lucky accidents or mistakes. That’s the advantage of cutouts. I had all this material sitting around the place, so it could fall into any number of patterns and suggest ideas."(204)

Um unrealistische Bilder zu erzeugen bediente sich Gilliam also unwahrscheinlicher Vorfälle, die er aus Büchern, von Plattencovern, Zeitschriften u.ä. abphotographiert hatte, um sie dann in beliebiger Größe reproduzieren zu können und kombinierte sie zu den vorliegenden abstrusen, nicht selten Staunen erregenden, manchmal schockierenden, Collagen, die dann durch Einzelbildaufnahmen zum Leben erweckt wurden.

Gilliam berichtet, daß er anfangs Schwierigkeiten hatte, die anderen von seiner Fähigkeit zu überzeugen, sich die fertigen Animationen, insbesondere mit den passenden Geräuschen vorzustellen. Erst das Ergebnis hätte ihm recht gegeben, v.a. der Vorspann-Cartoon mit dem überdimensionierten, nackten Fuß (Slapstick!) des Gottes der Liebe aus dem Bild des toskanischen Malers Bronzino von Venus und Armor(205), etablierte seine Fertigkeiten.(206)

Man könnte sicher ganze Bücher über die Inhalte, Bilder und deren eventuelle Bedeutung schreiben, ganze Psychologenteams könnten versuchen die verschlüsselten Botschaften zu dechiffrieren. Mindestens 5 Minuten pro Folge sind Animationen, zusammengesetzt ergäbe das einen Trickfilm von ca. 4 Stunden Länge. Deshalb habe ich Präferenzen gesetzt und eine genauere Erfassung der Trick-Szenen zurückgestellt. An dieser Stelle werden lediglich die allgemeinen ästhetischen Parameter und strukturellen Implikationen Berücksichtigung finden:

Gilliams Beiträge prägen nachhaltig die Struktur, die Ästhetik und damit den Stil von Monty Python. Inhaltlich sind sie oftmals autonom, bisweilen schließen sie sich einem Sketch thematisch an oder führen dessen Thema weiter und wenn sie es weiterführen, dann nur für kurze Zeit. Schnell geleiten uns die Bilder, die im nächsten Augenblick jede erdenkliche Metamorphose erfahren können, hin zu anderen Motiven, die irgendwann, nach zahlosen Verwandlungen, wieder in eine gespielte Szene münden können.

Die Cartoons tragen also wesentlich zur assoziativen Ausprägung der ‘Handlungsstruktur’ bei. Im Programmschema können sie als Pendant zum Zeichentrickfilm betrachtet werden, der im ‘realen’ Fernsehprogramm sowohl Programmsegment als Programmverbindung sein kann. Auf den ersten Blick sind Gilliam’s Animationen meist Verbindungen. Das kann sowohl durch ihre Kürze, als auch auch durch die selbst definierte Linkfunktion begründet werden. Die Animation des Vorspanns zu einem Sketch, wie im erwähnten "Restaurant Sketch" (3) oder die als "Link-Show" bezeichnete Einleitung von "The Show so far" (33) sind zwei Beispiele von vielen. In der "Link Show" wurde die Verbindung zum Segment hochstilisiert, ein Vorgang, der auf der einen Seite solche Einteilungen erschwert, auf der anderen aber deutlich macht, daß ebensolche Kategorisierungen erkannt und ausgehebelt, standardisierte Strukturen aufgebrochen und wiederholt die fehlenden Inhalte problematisiert wurden.

Wie bedeutend ist der Inhalt eines Fernsehprogramms noch, wenn man die Links zu ganzen Sendungen ausbauen kann?

Die assoziativen Animationen helfen also nicht nur, eine ganze Folge zu einer Einheit zu verschmelzen, indem sie einen ästhetischen Rahmen setzen, sondern sie lösen auch die, noch nie sehr befestigten, Grenzen zwischen Segment und Verbindung auf. Denn auch einstige Segmente degenerieren zu bloßen Verbindungen, wie schon im vorhergehenden Abschnitt gezeigt wurde.

Interessanterweise verwendete Gilliam keine fernsehspezifischen Motive und so fügte er der bisweilen sachlichen, oft relativ kargen Studioästhetik seine bunte Mischung aus vormals leblosen Bildern aus der Kulturgeschichte hinzu. Vorbilder waren für ihn v.a. Buster Keaton(207), aber auch Pieter Brueghel(208) und Hieronymus Bosch (ca. 1450-1516), über deren Verhältnis zum Filmemachen er um das Jahr 1980 an der Universität von Minnesota einen Vortrag hielt, wie Perry zu berichten weiß.(209) Gilliam erklärt seine mittelalterlichen Präferenzen folgendermaßen: "(...) The Grotesque wasn’t seen as abnormal. Then people did not seem ashamed of any aspect of life. You can go into magnificent churches and find carvings of people doing really gross things."(210) Thompson bringt Gilliams Kreationen mit der mittelalterliche Groteske in Verbindung, indem er Bakhtins Ausführungen über die materialistische Antwort auf den transzendentalen "Cosmic Terror" zitiert: Dieser ‘Terror’ sei die von einer "official culture" geschürte Angst des Menschen vor der Ohnmacht gegenüber der Natur. Die materialistische Antwort der "folk culture" sei die Groteske des Mittelalters, aber auch die des Terry Gilliam.(211)

Was nirgends erwähnt wird, aber meiner Rezeption zufolge offensichtlich ist, ist die Beziehung zur damaligen Pop-Art, welche von Andy Warhol begründet worden war. Der Zeitgenosse McLuhans kann wie dieser der Schule der ‘happenings’ zugerechnet werden. McLuhan hatte mit der schon erwähnten Theorie, daß das Medium die Message sei, die kulturphilosophische Grundlage für diese Kunstrichtung geliefert, die Ende der Sechziger in die ‘Popart’ mündete. Warhol machte sein Kunstmedium zur Metapher, indem er Inhalte verweigerte. Die Ästhetik der ‘Popart’, symbolische Metaphern in knalligen Farben, erfuhr bis in die siebziger Jahre eine weit verbreitete Anerkennung. Der Beatles-Trickilm "Yellow Submarine" (GB 1970) kann als Beispiel genannt werden. Zwar weist dieser Film eine kontinuierliche Handlung auf, die einzelnen Sequenzen sind aber stark assoziativ miteinander verbunden. Ähnlich wie bei Gilliam sind die dargestellten Objekte in allen erdenklichen Weisen formbar und unabhängig von Gesetzen des Raumes, der Zeit und der Logik und somit groteske Animationen.

 
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