1. EINLEITUNG

    Als ich zu Beginn der achtziger Jahre zum ersten Mal Monty Python wahrnahm, war ich begeistert von der Respektlosigkeit, der auschweifenden Phantasie, dem schwarzen Humor, der phantasievollen Anarchie, die diese britische Truppe (mit amerikanischem Einfluß) in einer Leichtigkeit vermittelte, die einen alles Schlechte dieser Welt vergessen lassen konnte und - oder gerade weil - man darüber noch lauthals lachen konnnte. Szenen, wie beispielsweise die, in der Eric Idle am Kreuz hängt und "Always look on the bright side of life"(1)singt, haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt und sind zum Bestandteil meiner Lebenserinnerungen geworden. Die Folgen der älteren Fernsehserie erschienen erst Anfang der neunziger Jahre auf Deutschlands Bildschirmen.(2) Ihr einzigartiger und ideenreicher Stil mit seiner anarchistischen Form und Struktur, verwies für mich alles bisher als komisch Empfundene somit auf die Plätze.

    Um dem Phänomen des ‘Fliegenden Zirkus’ auf die Spur zu kommen, begann ich mich nach ergänzender, sprich erläuternder Literatur umzusehen. Zu meiner Überraschung gab und gibt es relativ wenig ergiebige Literatur.

    Die wichtigsten Veröffentlichungen seien hier genannt: Voraussetzung zum Verständnis der Serie sind die von Roger Wilmut gesammelten und herausgegeben vollständigen Skripts aller klassischen 45 Folgen.(3) Vom gleichen Autor stammt auch die detaillierteste und umfangreichste Auseindersetzung mit der Struktur und Entwicklung der Fernsehserie Monty Python Flying Circus.(4) Aufschlußreich ist auch die Analyse von Neale und Krutnik, die anhand der 17. Folge (s. Tab. 2) exemplarisch die Struktur der Folgen und die Formate der Sketche untersuchten.(5)

    Kim ‘Howard’ Johnson veröffentlichte seine "The first 20 Years of Monty Python" mit Inhaltsangaben aller Folgen, zahlreichen Bemerkungen, Zitaten, Abbildungen und Hintergrundinformationen nicht nur über die Serie.(6)

    Unverzichtbar ist mir inzwischen auch Douglas McCalls "Monty Python - A Chronological Listing of all the Troupe’s Creative Output, Articles and Reviews about them"; eine sehr umfangreiche Liste sämtlicher Vorgänge bei und um Monty Python.(7) Einen tieferen Einblick in das Pythonsche Werk ermöglicht auch George Perry in seinem Buch "Life of Python", in dem die Vorgeschichte, aber auch viel persönliches nachzulesen ist.(8)

    Im englischsprachigen Bereich sei dann noch John O.Thompson erwähnt, dessen anspruchsvolle "Complete and Utter Theory of the Grotesque" die Theoretiker Bakhtin, Freud, Brecht, Hegel und andere zu Wort kommen läßt. Die Bezüge zu den Werken der meist schon lange vor der Erschaffung des ‘Fliegenden Zirkus’ verstorbenen Autoren scheint mir bisweilen problematisch. Andererseits gibt es eine Reihe zeitloser Mechanismen, gerade was den Humor und die Groteske betrifft.(9)

    Im deutschen Sprachraum sei Andreas Pittler erwähnt, der eine kommentierte Inhaltsangabe und Hintergrundinformationen zu bieten hat (s. Fußnote 2).

    Ich konnte also auf einer gewissen Grundlage aufbauen. Die besten Quellen sind allerdings die Folgen selbst. Ohne die Möglichkeit, sie auf Video betrachten zu können, wäre jeder, der sich der Serie auf einer wissenschaftlichen Ebene nähern will, schwer ‘gehandicapt’.

    Ein Aspekt, der mich besonders an der Struktur und dem Inhalt interessiert, ist zugleich der augenscheinlichste, nämlich die immanente parodistische Fernsehkritik. Sie prägt alle 45 Folgen nachhaltig und ist daher aus folgenden Gründen eine eingehende Untersuchung wert:

    Erstens ist Monty Python bisher noch nicht spezifisch aus diesem Blickwinkel betrachtet worden, zweitens ist die Pythonsche Kritik so umfassend und detailliert, daß sie bis in die kleinsten Einheiten zu konstatieren ist und somit eine auf sie ausgerichtete Analyse rechtfertigt und drittens werden zeitlose Mechanismen der Fernsehproduktion thematisiert.

    Deshalb habe ich folgende Hypothesen aufgestellt:

    Hypothese 1: Die BBC-Fernsehserie Monty Pythons Flying Circus hat eine umfassende Fernsehkritik zum Inhalt. Die Kritik bezieht sich auf alle audio-visuellen, strukturellen, technischen und rezeptionistischen Inhalte und Zusammenhalte; diese werden erst imitiert und anschließend demontiert.

    Hypothese 2: Im Zuge dieser Kritik entwickelte die Serie das - freilich verzerrte - Abbild einer Fernsehprogrammstruktur mit allen einschlägigen Programmsegmenten und Programmverbindungen, die das Fernsehen (auch heute noch) zu bieten hat, einschließlich der Rezeption anderer Medien.

    Wie aber an dieses über 20-stündige Werk herangehen?

    Klassische Film- und Fernsehanalyse-Verfahren scheitern an der außergewöhnlichen Struktur der Fernsehserie.

    Grundsätzlich kennt die Filmwissenschaft zwei Herangehensweisen der Filmanalyse. Die quantitative und die qualitative, bzw. die empirisch-sozialwissenschaftliche und die hermeneutische Methode. In den letzten Jahren haben sich die Fronten zwischen den beiden Schulen entschärft und kombinierte Verfahrensweisen setzen sich mehr und mehr durch.

    Ich beschloß, mich dem anzuschließen, zusätzlich aber noch ein eigenes, speziell auf Monty Python zugeschnittenes, Verfahren zu entwickeln. Erstens macht der Umfang und die Vielfalt des Werkes eine quantitative Erfassung fast schon zur Bedingung und zweitens verlangt die Vielbödigkeit der ‘Performance’ eine hermeneutische Erfassung der unzähligen Mehrdeutigkeiten.(10) Diese zweigleisige Herangehensweise wird mein eigenes Verfahren bestimmen:

    Es werden einerseits, angelehnt an die empirisch-sozialwissenschaftliche Inhaltsanalyse, grundlegende quantitative Daten erfaßt, ohne allerdings in eine statistische Untersuchung abzugleiten. Andererseits sollen nach dem von Kanzog(11) aufgestellten und von Hickethier präzisierten Verfahren (Befund, Erläuterung, Kommentar, Interpretation) die "unterschiedlichen Stufen der Informationsverknüpfung und der Verallgemeinerung auf dem Wege von einem ersten Verständnis zu einer umfassenden Interpretation"(12) durchlaufen werden. 1

    Eine reine Inhaltsanalyse würde aber den Kommunikator und den Rezipienten völlig aussparen und sich lediglich mit dem Werk und seinen medialen Implikationen beschäftigen. So ganz kann die Untersuchung des Inhalts also nicht im freien Raum stehengelassen werden und deshalb werden Elemente der strukturalistischen Analyse, die das Umfeld des Kommunikators berücksichtigen (v.a. Abschn. 2.1 u. 2.2), der filmhistorischen Analyse, die das Werk in einen Genrezusammenhang bringt (v.a. Abschn. 2.2 u. 2.3), und der Aussageanalyse, die die Absichten des Kommunikators impliziert, mit hineinfließen.(13) Um sich dem Phänomen einer umfassenden Fernsehkritik in einer Fernsehserie nähern zu können, ist m.E. dieses spezielle Analyseverfahren notwendig, andernfalls blieben die Ursprünge der Kritik unsichtbar.

    Die Fernsehanalyse ist ein Derivat der Filmanalyse und steckt noch in den Kinderschuhen. Das liegt zum einen daran, daß immer nur einzelne Fernsehfolgen untersucht und reinen Werkinterpretationen unterzogen wurden(14), die Fernsehanalyse also immer an der Filmanalyse orientiert blieb und somit keine ‘fernsehgerechte’ Untersuchung stattfand. Zum anderen liegt dies an der rasanten Entwicklung des Fernsehprogramms.

    Neue Sendeformen verlangen spezifische Analyseverfahren, Fernsehserien werden immer umfangreicher und entziehen sich so während ihres Verlauf zunehmends einer Gesamtbetrachtung. Trotzdem soll diese hier unternommen werden, allerdings muß eine Programmplatzuntersuchung außen vorgelassen werden. Erstens, da ich um Einschränkung bemüht sein muß, zweitens, weil eine derartige Herangehensweise mir bei der Untersuchung des kritischen Inhalts nur bedingt von Nutzen sein würde. Die Rezeption des Zuschauers muß unberücksichtigt bleiben. Seine Wahrnehmung und damit auch seine Kritik an MP erscheint mir zweitrangig, denn die Implikationen seiner Subjektivität sind grundverschieden von denen der intern Fernsehkritik übenden Kommunikatoren. Wenn hier im folgenden von Rezeptionen gesprochen wird, dann sind also immer jene gemeint, die bei Monty Python’s Flying Circus zu finden sind.

    Hickethier, der in den letzten Jahren mit zahlreichen Publikation die einzelnen Verfahren, auch der Fernsehanalyse, systematisiert und verbessert hat(15), beklagte stets die isolationistische Behandlung einer Fernsehsendung, welche immer im Kontext betrachtet sein wolle. Nur würde eine (film-)historische und (zuschauer)rezeptionistische und programmplatzspezifische Ausweitung den Rahmen dieser Arbeit sprengen, so daß ich mich für folgende Vorgehensweise entschieden habe:

    Im ersten Kapitel wird ein Abriß historischer und sozialer Bedingungen eine Einführung in die Serie geben. Im nächsten Schritt beginnt die eigentliche kommentierte und erläuternde Erfassung des Inhalts, nämlich der Themenauswahl und Genrerezeption, der Charaktere, der Sprache und der Aktionen.

    Der nächste Hauptteil beinhaltet die verschiedenen strukturierenden und verbindenden Elemente der ‘TV-Show’, wobei die angefertigten Sequenzprotokolle (Tab. 3-6) - exemplarisch je eins pro Staffel - nicht nur bei der Erfassung der Oberflächentstruktur behilflich sind, sondern auch für ein genaueres Aufschlüsseln der Tiefenstruktur verwendet werden können. Die Filmprotokolle (Tab. 8-12) unterstützen diese Vertiefung und sind jeweils nach bestimmten Fragestellungen zum Zusammenhalt gefertigt und dementsprechend benannt. Die schriftliche Fixierung einzelner Ausschnitte erlaubt insbesondere die Aufschlüsselung unbewußt wahrgenommener und damit tiefenstruktureller Vorgänge. Um die Beweisführung auf feste Füße stellen zu können, habe ich auch Beispiele verwendet, die vordergründig nichts mit dem Fernsehen zu tun haben. Zudem werden die in der Vorgeschichte angedeuteten Rezeptionen im Verlauf der Arbeit weiter präzisiert. Den Abschluß bildet eine Auswertung und Interpretation der gewonnenen Ergebnisse. Empirische Grundlagen sind eine Erfassung der Folgen (Tab. 2) und eine Liste der Sketche, die im Anhang zu finden ist.

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